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Die Abenteuer- und Erlebnispädagogik unterscheidet sich in einigen Aspekten von herkömmlichen pädagogischen Anwendungsfeldern. Ein wesentlicher Unterschied zu anderen pädagogischen Konzepten liegt im ganzheitlichen Erlernen von lebenspraktischen Aspekten mit allgegenwärtigem Bezug zur Realität (vgl. Berthold, 2002, S. 17). Die Handlungs- und Erlebnisfähigkeit in der erlebnisorientierten Jugendhilfe beschreibt die längerfristige aktiv handelnde Auseinandersetzung mit dem Leben, nicht jedoch die spektakuläre und aktionsreiche Seite des schnellen Erlebnisses. Es wird dabei nicht auf Abenteuer, Aktion, Erlebnis und Handlung verzichtet. Eindeutiges Ziel ist aber die Schulung ganzheitlicher menschlicher Erlebnisfähigkeit (vgl. Bauer, 2001, S. 22). Wissenschaftlich belegt ist ein Zusammenhang zwischen Primär- und Sekundärerfahrungen. Das eigene aktive Erleben lässt sich kaum vom passiven Erleben durch bloßes Zuschauen trennen (vgl. Bauer, 2001, S. 72)

Der Ansatz der Abenteuer- und Erlebnispädagogik basiert auf einem handlungsorientierten Lernen, das alle Sinne anspricht. Er stellt die „learning by doing“ Methode (Michl, 2009, S. 31) in den Mittelpunkt, nimmt die Gruppe ernst, unterstützt die Selbststeuerung, schafft Ernstsituationen, sucht nach den Stärken und Ressourcen der Lernenden, um sie gegebenenfalls reaktivieren zu können. Durch handlungspraktische und lebensnahe Methoden wird ein Bildungsprozess bei ihnen angebahnt (vgl. Gilsdorf, 2004, S. 62). In den Bereichen, die die Abenteuerpädagogik abdeckt, befinden sich Aspekte, die den Jugendlichen einen Zugang zum Fremden vermitteln, die das Erfahrungslernen geradezu anregen. „Natur wird als Herausforderung angesehen und angenommen, mit der man sich vor allem aktiv bewältigend auseinandersetzt. Man könnte diese Auseinandersetzung als ein ins aktiv gekehrtes Erbe der Ästhetik des Erhabenen bezeichnen“ (Becker, 2001, S. 3).

Das Abenteuer- Modell von Becker dient als Grundlage zur Darlegung des Strukturmodells des Abenteuers. Danach liegt jedem Abenteuer ein Aufbruch ins Ungewisse zugrunde. Das Abenteuer wird als ein Aufbruch ins Ungewisse mit klarem Anfang und Ende einer Reise bezeichnet. Der Hauptgrund für das abenteuerliche Unterwegssein ist eine Unzufriedenheit mit momentanen Lebenssituationen. Die derzeitige Lebenslage wird als mangelhaft befunden und ein Ausweg aus diesem Zustand gesucht. Die eigentliche Lebenskrise lässt sich nicht am Detail festmachen, festzuhalten ist aber, dass sie die Ursache für den Aufbruch ins Ungewisse darstellt. Ein Aufbruch aus gegenwärtigen Lebensverhältnissen ist auch immer ein Aufbruch in eine nicht bekannte und damit fremde Welt. In neuen Situationen werden alte vorher angeeignete Routinen neu überdacht, führen zu neuen Erkenntnissen, die bei der Bewältigung von Krisen nützlich sein können. Der Krise und Routine-Ansatz von Oevermann unterstützt durch eine Hinwendung zu einem strukturellen Optimismus die Ausführungen von Becker maßgeblich. Der strukturelle Optimismus, ist ein Ansatz, der davon ausgeht, dass nicht in gewohnten, also routinierten Handlungen Neues entstehen kann, sondern erst in der Bewältigung von krisenhaften Situationen Neues beim Individuum etabliert werden kann. Oevermann weist exemplarisch den Satz: „Im Zweifelsfall wird es gut gehen“ (vgl. Becker, 2001, S. 11 und Oevermann, 2008, S. 5) hierfür aus.

fire-842311_1920Die Begegnung mit dem Fremden und der Fremde dient als bildungsimmanentes Moment, in dem sich das Individuum mit seiner gesamten Körperlichkeit selbst als zentrales Steuerungsinstrument der Situationsbewältigung bewusst wird. „Man muss der Zone der Vertrautheit fremd geworden sein, um sie wieder sehen zu können (…) wir nehmen nur das Unvertraute wirklich wahr. Um es anschauen zu können, ist Distanz nötig. (…) Nur das Unverständliche sucht man zu verstehen (…)“ (Plessner, 2003, S. 92). Jede Krise verlangt nach Entscheidungen, die getroffen werden müssen, selbst wenn man sich für nichts entscheidet, hat man sich damit dennoch für etwas entschieden. Durch die Entscheidungen, die getroffen werden, erlebt man ein Mehr an Selbsterfahrung, sie können zur Förderung eines Autonomiebewusstsein beitragen. Durch leibliche Erfahrung wird eindrucksvoll erkennbar, dass die Entscheidungen, die man getroffen hat, auch getragen werden müssen. Bei einer Fehlentscheidung beispielsweise, muss auch ein Scheitern in Kauf genommen werden. „Handeln wird riskant, und Zukunft wird bedeutsam“ (Becker, 1994, S. 205).

hiking-691738_1280Gerade die Bewältigung der Jugendphase im Übergang zur Adoleszenz kann mit einem abenteuerpädagogischen Ansatz folgenreich gestützt werden. In den Handlungskrisen, die im Jugendalter auftreten können, bietet das abenteuerliche Unterwegssein Möglichkeiten an, die einen lebensweltorientierten Ansatz verfolgen und die Individuen durch die Eigenschaften des Abenteuers altersgerecht ansprechen. Das Abenteuer darf dabei aber in keinem Falle in dem Sinne pädagogisiert werden, dass simulierte Krisensituationen die Folge wären. Durch eine gewisse Vorstrukturierung des Unterwegsseins, werden die Rahmenbedingungen gesetzt, eine Feinplanung bis ins kleinste Detail unterbleibt. Hauptaugenmerk muss immer die Zielgruppe sein, für die eine Unternehmung gedacht ist. Jedes Klientel benötigt dabei eine individuelle Berücksichtigung des sportpädagogischen Spektrums. Ein Abenteuer stellt die Individualisierung des Lebens heraus und bietet durch das unmittelbare Erleben einen direkten Verweis auf die eigene Existenz. Es stellt einen Bezug zu dem jeweiligen „Selbst“ des Abenteurers her (vgl. Thiersch 1993, S. 40).

Kanu fahren, Segeln, Klettern, Kajak fahren oder Wanderungen durch unwegsames Gelände, sind Anlässe, den gewohnten Alltag zu verlassen, sich unbekannten Situationen auszusetzen und diesen adäquat zu begegnen: „Sicherheit und Gleichförmigkeit werden gegen Ungewissheit und nicht planbaren Wechsel der Situation eingetauscht.“ (Becker, 2001, S. 12). Die exemplarisch angeführten Unternehmungen verdeutlichen noch einmal die Distanz, die zwischen dem vertrauten Leben und dem eigenen „Ich“ geschaffen werden muss, damit festgesetzte Denk- und Handlungsmuster aufgebrochen werden und neue entstehen können. Durch die Auseinandersetzung mit den sich ergebenen Situationen und den ihnen innewohnenden Widerständen werden beim Individuum zwangsläufig neue Verhaltensmodifikationen angebahnt (vgl. Becker, 2001, S. 12).

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Das Abenteuer-Modell ist wie maßgeschneidert für die Phase des Jugendalters, weil das Abenteuer Situationen entstehen lässt, die für Jugendliche spannend, authentisch und real sind. Die komplette Aufmerksamkeit wird auf die Bewältigung einer Krisensituation gelenkt, in der Entscheidungen getroffen werden müssen, für die im Hier und Jetzt und vor allem auch im Nachhinein eingestanden werden muss. Für den Bildungsprozess der Beteiligten gilt, dass Abenteuer nicht enden, nur weil „(…) die Gletscher gequert und der Gipfel erklommen, der sichere Hafen endlich angelaufen oder alle Wehre und Walzen eines Bachs befahren wurden. Da im Abenteuer viel passiert, kann auch viel erzählt werden. Dynamik und Dramatik der im Abenteuer durchlebten Krisen und ihre erfolgreiche oder weniger erfolgreiche Bewältigung, die Komplikationen und Hindernisse, die auftreten, die Gefühle der Anspannung, der überwundenen Angst, des Glücks einer gelungenen oder die Ohnmacht einer gescheiterten Bewährung sowie der überschaubare Rahmen mit klarem Anfang und Ende ergeben Anlässe für Erzählungen“ (Becker, 2001, S. 12). Als Plätze für Zusammenkünfte bieten sich beispielsweise Lagerfeuerstellen für die Gruppen an. Aber auch im Nachhinein dienen die durchlebten Abenteuer als Erzählungen für Freunde, Bekannte oder sonstige GesprächspartnerInnen. Durch das Erzählen setzen sich die Individuen noch einmal mit dem abenteuerlichen Unterwegssein auseinander und reflektieren ihre Handlungen und Denkweisen in den Situationen, in denen es sich zu bewähren galt. Die Ausführungen machen deutlich, wie sich die abenteuerlichen Unternehmungen auch auf die Selbstbildung des Subjekts auswirken können. Durch das Durchleben und Durchstehen der Situation kann der Grundstein für einen autonom denkenden und handelnden Menschen gelegt werden (vgl. Bietz, 2005, S. 246).

Abenteuer- und Erlebnispädagogik

Literaturverzeichnis:
Bauer, H. (2001). Erlebnis- und Abenteuerpädagogik – Eine Entwicklungsskizze, 6., überarbeitete und erweiterte Auflage, München: Rainer Hampp Verlag.
Becker, P (1994). Offene Zukunft und riskante Entscheidungen. Gesellschaftliche und-pädagogische Aspekte des Umgangs mit Unsicherheiten der Moderne. In: Neue Praxis 24 (1994) 203-216.
Becker, P. (2001). Vom Erlebnis zum Abenteuer. Anmerkungen zur Erlebnispädagogik. Sportwissenschaft, Jahrgang 2001, Heft 31. Nr. 1., S. 3-16.
Berthold, M. / Ziegenspeck, J., (2002). Der Wald als erlebnispädagogischer Lernort für Kinder, hrsg. Von Prof. Dr. phil Jörg Ziegenspeck, Lüneburg.
Bietz, J. (2005). Bewegung und Bildung. Eine anthropologische Betrachtung in päda-gogischer Absicht. In Bietz J. / Laging, R. / Roscher, M. (Hrsg.): Bewegung und Sportpädagogik. Baltmansweiler.
Gilsdorf, R. (2004). Von der Erlebnispädagogik zur Erlebnistherapie. Perspektiven er-fahrungsorientierten Lernens auf der Grundlage systemischer und prozessdi-rektiver Ansätze. Nauheim: EHP.
Oevermann, U. (2008). „Krise und Routine als analytisches Paradigma in den Sozial-wissenschaften.“ Abschiedsvorlesung am Fachbereich Gesellschaftswissen-schaften der Frankfurter Universität, gehalten am 28.04.2008. Zugriff am 25.03.2014 unter www.ihsk.de/publikationen/Ulrich-Oevermann_Abschiedsvor-lesung_Universität-Frankfurt.pdf. Plessner, H. (2003): Mit anderen Augen, in Ders.: Conditio humana, Ges. Schriften Bd. VIII, Frankfurt, S. 88 – 104.
Thiersch, H. (1993). Lebenswelt und Moral: Beiträge zur moralischen Orientierung Sozialer Arbeit. In Homfeldt, S. 267 – 276.